Schon seit Jahrtausenden ist die Idee der Polaritäten in den Ländern Asiens sowohl in der Religion, wie auch in der Philosophie zu finden.
Fritz Perls benutzt dieses Konzept auch in der GESTALT-Arbeit. Er weist darauf hin, dass die Konflikte, die sich im Leben eines Menschen zeigen, darauf beruhen, dass bestimmte persönliche Eigenschaften als negativ angesehen und daher abgelehnt werden. Die Folge davon ist, dass wir Anteile, die zu uns gehören, einfach abschneiden. Dadurch schwächen wir unsere Persönlichkeit und werden unvollständig.
Wir identifizieren uns mit einer genau festgelegten, oft sehr präzis definierten “Art zu sein” und lehnen kathegorisch alles ab, was nicht in dieses ideale Bild passt. Wenn ich mich beispielsweise für einen ungeschickten Menschen halte, werde ich nichts Neues zu erlernen versuchen, selbst wenn es mir Spaß macht. Wenn ich mich als “stark” empfinde, kann ich womöglich nicht mit anderen Menschen meine Sorgen teilen, um bloss keine Schwäche zu zeigen.
Der Teil der Polarität, den man nicht akzeptiert, wird begraben oder blockiert, aus Angst davor, was geschehen könnte, wenn man ihn akzeptieren würde. Ein sehr verbreitetes Beispiel hierfür ist die
eigene Aggression und die Angst vor den Folgen, sollte man sie zulassen.
GESTALT versteht den Menschen als ein unteilbares Ganzes und sieht ihn als umso gesünder und lebenstüchtiger, je fähiger er dazu ist, Verantwortung auch für seine abgelehnten Anteile zu übernehmen. Wir alle sind gleichzeitig schlau und dumm, stark und schwach, lieb und böse, freundlich und aggressiv. Gesundheit bedeutet, je nach Lebenslage, die eine oder andere Polarität einsetzen zu können!
Alle Emotionen sind wertvoll, da sie uns Informationen darüber liefern, was in uns und um uns herum geschieht. Ebenfalls sind sie die Kraft, dank der wir unsere Bedürfnisse
befriedigen können. Desweiteren sind sie unsere "Alarmanlage" bei bestehender Gefahr. Daher ist es lebenswichtig, jene Emotionen wieder zu erlangen, die wir als negativ etikettiert und verbannt
haben: Traurigkeit, Aggression, Zorn, Neid ...
In unserer Kultur fällt es uns schwer, es beschämt uns, ja es macht uns sogar Angst, uns mit diesen abgelehnten Aspekten zu zeigen. So investieren wir viel Energie darin, den einen Teil der
Polarität zu verstecken, der vermeintlich am wenigsten zu unserem Image passt. Wir übersehen aber dabei, dass wir diese Energie zu unseren Gunsten nutzen könnten, um bei unseren Alltagserfahrungen -
vollständig über alle unsere Ressourcen verfügend - kreativ und angemessen auf alle Herausforderungen, die sich uns bieten, reagieren zu können.
GESTALT lädt uns dazu ein, in vollem Umfang beide Teile einer Polarität zu erleben: fröhlich sein - traurig sein, stur sein - flexibel sein, sich für das Private interessieren - sich für das
Öffentliche interessieren ...
Nur so können unsere ureigenen Eigenschaften, die wir zuvor abgelehnt und verneint hatten, integriert werden, und es entsteht in uns Lebenskraft, Lebensfreude und Selbstzufriedenheit - wir vervollständigen uns.